Sozialdorf Herzogsägmühle
Ein Ort zum Leben, eine Heimat für alle
Was ist eigentlich Heimat? Ist es ein bestimmter Ort, an dem man geboren wurde und aufgewachsen ist? Ist es die Sprache und kulturelle Identität? Oder sind es letztendlich die Menschen, die Heimat ausmachen - Freunde, Familie und das gemeinschaftliche Miteinander? Vielleicht ist Heimat auch als eine Art Gefühl zu verstehen, verknüpft mit Erinnerungen an eine Zeit? Schülerinnen und Schüler des Welfen-Gymnasiums Schongau sind im Rahmen eines P-Seminars der spannenden Frage nachgegangen, was Heimat für uns bedeutet und haben dazu Hörstücke über das Sozialdorf Herzogsägmühle und seine Bewohner entwickelt.
Mit einem ganz besonderen Ort ihrer Region haben sich die Schülerinnen und Schüler des Welfen-Gymnasiums über ein Jahr lang beschäftigt: Herzogsägmühle im Pfaffenwinkel, ein Sozialdorf der Diakonie mit über 900 Einwohnern. Hier finden Menschen im Rahmen einer offenen Dorfgemeinschaft Hilfe, die aufgrund einer Behinderung, einer seelischen Erkrankung oder sozialer Benachteiligung Unterstützung suchen und nach Teilhabe am gesellschaftlichen Leben streben, sowohl individuell als auch in der Gemeinschaft. Im Rahmen des LEADER-Projekts „Lernort Sozialdorf Herzogsägmühle“ setzten sich die Schülerinnen und Schüler mit der Geschichte und der Gegenwart des Dorfes auseinander, lernten die Bewohner und deren Schicksale kennen und überlegten, wie diese Erfahrungen in Form eines Audioguides anderen Jugendlichen und Besuchern von Herzogsägmühle zugänglich gemacht werden könnten.
Am Anfang stand die Erkundung des Dorfes. Ein Dorf wie jedes andere in Bayern mit Kirche, Maibaum, Wirtshaus und Supermarkt, Vereinen, Schulen und Wohnhäusern, Handwerks- und Gewerbebetrieben, einer Gärtnerei und einem Friedhof. Interessant war dabei auch, welche Geschichte hinter den teils sehr alten Gemäuern steckte. Immerhin seit mehr als 120 Jahren ist Herzogsägmühle eine Anlaufstelle für Menschen in Not und spiegelt in ihrer Entwicklung auch die Entwicklung der Sozialstaatlichkeit in Deutschland wieder. Eine Fülle von Informationen, die es erstmal zu sortieren galt. Und die schwierigste Frage war am Anfang: Welche Geschichte will ich überhaupt erzählen? Was für eine Art Hörstück soll es werden?
Unter Anleitung von BR-Mediencoach Mischa Drautz, der die Schülerinnen und Schüler zusammen mit P-Seminar Leiter Walter Ludwig bei der Ideenfindung, Konzeption und Umsetzung der Hörstücke unterstützte, wurde bald klar, was Herzogsägmühle vor allem ausmacht, sind die Menschen, die hier wohnen. Und so fanden die Schülerinnen und Schüler über die biografischen Geschichten einzelner Dorfbewohner und die Frage, was für sie „Heimat“ bedeutet, einen sehr persönlichen Zugang zu diesem Ort. Unterteilt in Kleingruppen machten sich die Nachwuchsreporter an die Umsetzung ihrer Ideen: Wo finde ich die passenden Interviewpartner? Welche Geräusche und Klänge brauche ich, um meine Geschichte lebendig zu machen? Wie schreibe ich ein Manuskript?
Mit den Aufnahmen, Interviews und Geräuschen im Gepäck ging es dann zur Endproduktion in die Tonstudios des Bayerischen Rundfunks, wo die Schülerinnen und Schüler ihre Manuskripte selbst einsprechen durften und ihre Produktionen mit Hilfe eines professionellen Tontechnikers fertigstellen konnten.
Entstanden sind dabei vier kreative und einfühlsame Hörstücke, die sich dem Ort Herzogsägmühle über ihre Bewohner nähern und beschreiben, wie hier für sie ein Stück Heimat entstanden ist. Porträtiert werden Menschen wie Abdul, der aus Syrien fliehen und seine Familie zurücklassen musste. Für ihn ist Heimat vor allem ein Bild, wie er als kleiner Junge in den Straßen von Damaskus mit Freunden Fußball spielt. Gleichzeitig findet er hier im Dorfleben eine neue Heimat, zwischen Berufsausbildung, Sprachunterricht und Vorliebe für Butterbrezn. Der Begriff Heimat – in den Hörstücken lässt sich das erahnen – ist so individuell wie jeder von uns und doch etwas, das uns ein Leben lang begleitet.
Der Audioguide Herzogsägmühle ist ein Projekt der Stiftung Zuhören in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk, dem Verein Dorfentwicklung und Landespflege Herzogsägmühle e.V. sowie dem Welfen-Gymnasium Schongau. Der Audioguide wird Teil des digitalen Themenwegs „Was ist Heimat?“, der durch den Ort führt und Geschichte und Gegenwart von Herzogsägmühle via Tablet und Smartphone erfahrbar macht.
Am 3. Oktober 2017 wurde der digitale Themenweg im Rahmen einer großen Feier zur Einheit der Kulturen in der Herzogsägmühle eröffnet. Vor Publikum, Presse und Eltern präsentierten die Schülerinnen und Schüler des P-Seminars ihren Audioguide dabei erstmals.
Das Audioguide-Team
Projektklasse: P-Seminar des Welfen-Gymnasiums Schongau
Betreuender Lehrer: Walter Ludwig
BR-Mediencoach: Mischa Drautz
Kooperationspartner: Lernort Sozialdorf Herzogsägmühle – eine Initiative des Vereins Dorfentwicklung und Landespflege Herzogsägmühle e.V. mit den Projektverantwortlichen Babette Gräper und Barbara Mühlberger
Projektleitung Stiftung Zuhören: Anne Lassner
Die Hörstücke
Zwischen Butterbrezn und dem kalten deutschen Winter hat Abdul aus Damaskus in der Herzogsägmühle einen neuen Ort zum Leben und eine zweite Heimat gefunden. Die Bilder und Erinnerungen an seine syrische Heimat hat er aber immer vor Augen…
Die Herberge ist eine Unterkunft für Obdachlose. Immer mehr Leute nehmen das Angebot, hier zu übernachten, wahr. Heimat ist etwas, was vielen Obdachlosen fehlt, weiß Axel Rosenkranz, ein Mitarbeiter der Herberge, zu berichten. Ohne Vorurteile aufeinander zuzugehen und jedem einen Platz zu bieten, an dem man sich wohlfühlt, ist ihm dabei wichtig.
Strenge, körperliche Züchtigung und ein System aus Bestrafung und Angst haben staatliche Fürsorgeheime in den 60er Jahren geprägt. Das hat Walter Besch, der mit 16 Jahren in ein Fürsorgeheim der Herzogsägmühle kam, am eigenen Leib erlebt. Wie sehr ihn diese Erfahrung geprägt hat und wie sich das Erziehungsideal später gewandelt hat, erfährt man in diesem Hörstück auf eindrucksvolle Art und Weise.
Wie eine große WG fühlt es sich manchmal in der Wohngruppe für junge Erwachsene an. Hier finden diejenigen eine Bleibe, die von der Familie vor die Tür gesetzt wurden oder nicht mehr wissen, wohin sie sollen. Man kocht zusammen, sieht sich Filme an, geht arbeiten und wird in verschiedenen Bereichen von Betreuern begleitet. Konflikte bleiben dabei nicht aus. Was für die Bewohner aber vor allem zählt, ist das Gefühl von Gemeinschaft und Heimat, was hier vermittelt wird.